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LANDWIRTSCHAFT, SELBSTVERSORGUNG, REGIONALWIRTSCHAFT


Schweizer Landwirtschaft braucht starke Nachfrage

11. März 2023

von Esther Schwann


Insbesondere im Verlauf des letzten Jahres sind immer wieder Informationen an die Öffentlichkeit gelangt, dass Bauern ihre Produkte, insbesondere Obst und Gemüse, nicht verkaufen können. Schauen wir uns den Selbstversorgungsgrad der Schweiz an, muten solche Mitteilungen und Hilferufe seltsam an. Woran kann es liegen, dass unsere Schweizer Bauern ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse zeitweise nicht loswerden? - Eine Spurensuche.


Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz*

Die Lebensmittelproduktion der Schweizer Bauern genügt nicht zur vollständigen Versorgung der Bevölkerung im Lande. Gemäss Agrarbericht Schweiz für das Jahr 2020 betrug der Selbstversorgungsgrad knapp 50 Prozent (siehe Grafik unten: Nahrungsmittel total netto).

Bei Fleisch- und Milchprodukten liegt die Versorgung aus Schweizer Produktion nahe oder über 100 Prozent. Hingegen haben wir bei Obst, Gemüse, Eiern und Geflügel eine teils massive Unterversorgung. Fehlmengen müssen importiert werden: bei Kern-/Steinobst 14 Prozent, Gemüse muss zu 52 Prozent importiert werden, Eier 44 Prozent, Geflügel 40 Prozent und die fehlenden Quantitäten bei pflanzlichen Fetten und Ölen von 76 Prozent.


Für nähere Angaben: siehe Agrarbericht 2022



In Anbetracht einer derartigen Unterversorgungslage sollte es selbstverständlich sein, dass Schweizer Bauern ihre Produkte im Handel vollständig absetzen können. Es sollte ihnen keine Sorgen machen, sofern die Agrarpolitik die Versorgungssicherheit im Blick hätte, die Vertragslage mit den Grossverteilern eine Abnahme garantieren würde und die Grosshandelspreise marktgerecht wären.


Der Einfluss der Politik auf die Landwirtschaft**

Nach Artikel 104 der Bundesverfassung hat die Landwirtschaft den gesetzlichen Auftrag, gemeinwirtschaftliche Leistungen zu erbringen. Diese werden mit jeweils einer spezifischen Direktzahlungsart gefördert. Zu diesen Leistungen gehören beispielsweise die naturnahe, umwelt- und tierfreundliche Produktion, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie die Pflege der Kulturlandschaft. Im Jahr 2021 richtete der Bund insgesamt rund 2.8 Milliarden Franken Direktzahlungen für die Landwirtschaft aus. Dabei wurde die Versorgungssicherheit in der Schweiz lediglich mit 38 Prozent der Gesamtsubventionen unterstützt.


In einem kürzlich geführten Gespräch mit einem Baselbieter Bauern kam zum Ausdruck, dass die Förderung von Brachflächen für die Feldlerche oder Mauswieselburgen mehr Direktzahlungen abwerfen als die landwirtschaftliche Produktion auf der gleichen Fläche. Jener Bauer mit etwa 50 Hektar Land erhält jährlich zirka CHF 55'000.- an Direktzahlungen und Ergänzungsleistungen. Ein Bergbauer im Emmental mit 20 Hektar Produktionsfläche bekommt zirka CHF 27'000.- Zuschüsse pro Jahr. Das sind Beträge, ohne die ein Landwirt heute nicht bestehen könnte. Direktzahlungen machen die Betriebe gegenüber der Politik weisungsgebunden.


Direktzahlungen pro Betrieb nahmen gemäss Agrarbericht leicht zu, da sich die Entwicklung hin zu flächenmässig grösseren Betrieben fortsetzte. Grössere Flächen pro Betrieb sind nur dann möglich, wenn vor allem kleinere Betriebe aufgeben, sei es aus Ertragsschwäche oder fehlender Nachfolgeregelung. Innerhalb der letzten zwanzig Jahre haben zirka 20‘000 Betriebe geschlossen, was durchschnittlich 1‘000 Betriebsschliessungen pro Jahr bedeutet. Per Ende 2021 wurden nur noch knapp 49‘000 bäuerliche Betriebe gezählt.

 

Darüber hinaus sind innerhalb der letzten zwanzig Jahre 29‘000 Hektar Landwirtschaftsland verloren gegangen, was 3 Prozent der Gesamtfläche ausmacht.


Wie zuverlässig sind die Grossverteiler?

Landwirte bieten je nach Produkt ihre Erzeugnisse verschiedenen Grossabnehmern an. Mit Grossverteilern wie Coop und Migros bestehen Absprachen, die jedoch keine Garantie darstellen. Gerade im Sommer konkurriert die inländische Produktion an Tomaten, Gurken, Peperoni und anderen Erzeugnissen mit im Ausland produzierter Ware, welche in aller Regel günstiger hergestellt wurde und auch einschliesslich Transportkosten und Einfuhrgebühren noch billiger im Einkauf sind. In solchen Fällen droht dem hiesigen Landwirt die Katastrophe, indem er auf seiner Ware sitzen bleibt, so geschehen letzten Jahr, als ein Tomatenbauer im Aargau seine Ware nur noch lokal im Direktverkauf anbieten konnte.


Auch die Normierung von Obst und Gemüse kann ein Grund zur Abnahmeverweigerung durch den Grossverteiler sein. Bei zu trockener, nasser oder zu kalter Wetterlage können die Feldfrüchte in Bezug auf Grösse und Aussehen aus der Norm fallen, ganze Ernten können dabei abgelehnt, müssen im schlimmsten Fall vernichtet werden.

Letztes Jahr machte ein Demeterbauer in den sozialen Medien auf sich aufmerksam, weil seine Kartoffeln dem Grossverteiler nicht genehm waren, sie nicht der Norm entsprachen. Zwanzig Tonnen Kartoffeln bester Qualität wurden daraufhin auf privater Basis und Initiative direkt vermarktet.


Schwierige Gemengelage und Auswegmöglichkeiten

Es liegt fern, auf all diese Einflüsse und Fragen eine Antwort oder gar Lösung zu haben. Zuvorderst soll das Dilemma aus dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit betrachtet werden. Ausserdem wird immer von Umweltschutz geredet. Die Reduktion des Schwerlastverkehrs zum Transport von Obst und Gemüse könnte die Umweltschutzdebatte und die Überlastung von Strassen und Grenzübergängen entschärfen, indem schlichtweg die Regionalwirtschaft zu fördern wäre. Insbesondere von Seiten der Politik scheint es dort nur geringe Vorstösse zu geben.


Aber wer soll denn jetzt den notwendigen Impuls für eine starke Regionalwirtschaft geben, wenn nicht wir, die Konsumenten? Ja, letztlich entscheiden wir, welche Ware in den Verkauf kommt, wie die Produkte verteilt werden oder ob wir uns mit Massenware aus dem Ausland begnügen. Das bedeutet jedoch, sich aus der eigenen Bequemlichkeitszone zu verabschieden. Anstelle eines Schnelleinkaufs beim Grossverteiler stehen alleine im Baselbiet weit über 200 Produzenten mit Hofläden und Möglichkeiten der Direktvermarktung zur Verfügung. Dazu kommen noch viele kleine Handwerksbetriebe wie Bäcker und Metzger sowie Mühlen und Spezialitätenhändler für Südfrüchte und vieles mehr. Zu guter Letzt ist der Markttag nicht nur ein Ort des Einkaufs, sondern auch ein Ort der Begegnung:

https://www.baselland-tourismus.ch/entdecken-erleben/maerkte

https://www.marktverband.ch/D/sektion-nordwestschweiz-maerkte.php


Es gibt Portale im Internet, auf denen wir ganz einfach den nächsten Hofladen ausfindig machen können. Mit einem Blick auf das Smartphone kann hier der nächste Hofladen ausfindig gemacht werden. Hier eine Auswahl:

https://www.hoflädeli.ch/

https://www.myfarm.ch/de/hoflaeden

https://www.landfrauen-dorneckberg.ch/hofladenlisten-dorneckberg/büren/


Fehlmengen kompensieren

Jeder Quadratmeter Gemüse im Eigenanbau hilft die Unterversorgungslage entschärfen. Sogar ein Balkon kann durchs Jahr mithilfe von Hochbeeten etliche Salate und Kräuter sowie einige Kilo Tomaten, Bohnen, Gurken, Chili oder andere Köstlichkeiten hervorbringen. Wer den Genuss schon erlebt hat, sich frisch etwas zum Essen aus dem Garten zu pflücken oder vom Balkon zu holen, der wird nicht nur mit erntefrischer Ware verwöhnt, sondern er erlebt das Glücksgefühl, das nur ein Gärtner kennt - egal wie klein der Garten auch sein mag.


Diejenigen, die keinen eigenen Garten besitzen, können sich bei einer der kleinen Kooperativen der "Solidarischen Landwirtschaft" engagieren. Dank eines Gemüse-Abonnements kommt wöchentlich frische und qualitativ hochwertige Ware nach Hause. Solawi sind als Vereine oder Genossenschaften organisiert. Das ist echte gelebte gemeinschaftliche Regionalwirtschaft, und es entstehen laufend neue Projekte, also vielleicht auch bald in Deiner Gemeinde. Kennst Du schon die Idee der essbaren Stadt? Und vielleicht magst Du mithelfen und nach einem Stück Boden für Eure Solawi Ausschau halten?

https://www.solawi.ch/vernetzungsplattform/#/


Darüber hinaus bieten Wälder und Wiesen eine Vielzahl wertvoller vitamin- und mineralstoffreicher, bioverfügbarer essbarer Wildpflanzen wie Löwenzahn, Brennnessel, Spitzwegerich, Rotklee, Taubnessel, Giersch, Schafgarbe, Wiesenknopf, Sauerampfer, Gänseblümchen, Vogelmiere, Schaumkraut, Bärlauch oder Labkraut. Unsere Gesundheit wird es uns danken. Wie Wildpflanzen zu erkennen und zuzubereiten sind, kannst Du zum Beispiel in einem Kurs erlernen, so hier:

https://schwann-lebens-praxis.ch


Wie heisst das Sprichwort nochmals? - "Es gibt nichts Gutes, ausser Du tust es." Lasst uns in diesem Sinne gemeinsam anpacken!


Kontakt

Esther Schwann

061 631 12 62

e.schwann [at] bluewin.ch

https://neuesdorf-nordwestschweiz.ch

 


Legende

* Der Selbstversorgungsgrad (SVG) zeigt, in welchem Umfang die Bevölkerung mit Lebensmitteln aus inländischer Produktion versorgt werden kann. Der SVG wird definiert als Verhältnis der Inlandsproduktion zum inländischen Gesamtverbrauch (Quelle:  https://www.agrarbericht.ch/de/markt/marktentwicklungen/selbstversorgungsgrad).

**   https://www.agrarbericht.ch/de/politik/direktzahlungen/finanzielle-mittel-fuer-direktzahlungen?highlight=Direktzahlungen