ORMALINGEN, WALDGARTEN, FOOD FOREST, ESSWALD
11. Juni 2022
von Lucien Holzapfel
Was machen mit einem Hektar Land an bester Lage im Baselbieter Tafeljura mit Wiesen, Hecken, Bäumen, Blumengarten, einem munter plätschernden Bächlein, viel Sonne und einem wunderschönen ehemaligen Bauernhaus? Ein Hektar misst 10'000 Quadratmeter, was viel Land für eine vierköpfige Familie ist. Es sollte nicht einfach ein grosser Gemüsegarten werden oder Rasen mit Büschen … und eine Pacht an Bauern zur Heugewinnung fühlte sich ebenfalls nicht stimmig an.
Wir wollten mehr machen aus unserem Lebensraum. Wir wollten, dass hier Zukunft gedeiht, für die Natur und für die Menschen. Wir – das sind Rebekka Rieder und Lucien Holzapfel mit den Kindern Sandro und Laila. Seit Dezember 2019 wohnen wir am Händschenmattweg 235 in Ormalingen, einem kleinen, lebendigen Dorf in der Nähe von Sissach BL. Wir lieben unser Zuhause, es ist der Platz, an dem Rebekka aufgewachsen und nach zwanzig Jahren zurückgekehrt ist. Unser Land soll eine Oase sein mit Bäumen, Beeren, Sträuchern, Stauden, Gemüse, Blumen, Tieren, Wasserläufen – und mit gesundem, lebendigem Boden. Also haben wir angefangen, einen grossen Waldgarten anzulegen. Einer der sich langsam entwickeln darf, genauso wie wir.
Wälder sind in unseren Breitengraden die von Natur aus vorherrschenden Ökosysteme. Überlassen wir zum Beispiel eine Wiese sich selbst, entwickelt sie sich Schritt für Schritt zurück zu Wald. Ein Waldgarten ist dem Wald nachempfunden und beschreibt ein ausgesprochen widerstandsfähiges System, das sich durch grosse Artenvielfalt auszeichnet, hohe Erträge generiert und eine natürliche Schönheit ausstrahlt. Zudem speichern Waldgärten Wasser, versorgen sich weitgehend selbst mit Nährstoffen, produzieren viel Biomasse und helfen so, humosen, nährstoffreichen und vitalen Boden aufzubauen. Wildtieren bieten sie viele Nahrungsquellen und Lebensräume, aufs Klima haben sie einen stabilisierenden Einfluss und sie wirken Erosion durch Wasser oder Wind entgegen.
In seinem Grundaufbau besteht ein Waldgarten – getreu seinem Vorbild – aus mehreren Schichten. Diese stehen miteinander in Wechselwirkung und unterstützen sich gegenseitig. Die am höchsten wachsende Schicht ist die Baumschicht, gefolgt von den Sträuchern, der Staudenschicht und den Bodendeckern. Gepflanzt werden primär mehrjährige Gewächse, was die Stabilität des Systems erhöht, das Bodenleben schont und den Arbeitsaufwand minimiert.
Ein Waldgarten, auch Food Forest oder Esswald, entspricht unseren Bedürfnissen. Für die Planung und den Aufbau haben wir Unterstützung bei Planofuturo geholt, einem Institut für Permakultur-Design. Im Verlauf von drei gemeinsamen Planungstagen entstand das Herzstück unserer Oase: ein Grundelement von 1'000 Quadratmetern Grösse, das einer permanenten Waldlichtung nachempfunden ist und das wir im Laufe der Jahre an mehreren Orten umsetzen können. Dieses Grundelement setzt sich zusammen aus grossen Bäumen, die uns mit Früchten und Nüssen versorgen, aus Obst- und Beerensträuchern, kultivierten wie wilden Sorten, aus Sträuchern zur Produktion von Biomasse zum Mulchen und zur Anreicherung des Bodens mit Stickstoff sowie aus offenen Flächen für Blumenwiesen, Wege, Gemüsebeete, einen Hühnerstall oder einen Sitzplatz mit Feuerstelle.
In der Permakultur sind Waldgärten auf Grund ihrer Eigenschaften wichtige Gestaltungselemente. Es geht es darum, am Vorbild der Natur resiliente Systeme zu schaffen, welche die Biodiversität verbessern, hohe Erträge gesunder Lebensmittel erzielen und ein Gleichgewicht schaffen zwischen allen am System Beteiligten. Unser Anliegen ist es, dereinst unseren Kindern Sandro und Laila ein hochwertiges, intaktes und wertvolles Stück Land weiterzugeben.
Im Herbst 2020 legten wir zusammen mit anderen Menschen während mehrerer Pflanztage das erste Grundelement an. Es waren wunderschöne, stimmige Anlässe, an denen wir gemeinsam arbeiteten und in gemütlicher Runde das feine Essen genossen sowie Gemeinschaft feierten. Die Erinnerung erfüllt uns bis heute mit Freude und Dankbarkeit. Seither führen wir jedes Jahr für die Arbeiten im Frühjahr und im Herbst mehrere Pflanztage durch.
Das erste Grundelement grenzt an die Scheune und liegt nordöstlich des ehemaligen Bauernhauses, welches heute unser Wohnhaus ist. Neben einem schon bestehenden Nussbaum haben wir Pfirsich-, Mandel- und Aprikosenbäume gepflanzt. Ölweiden, Erlen und Sanddorn bringen Stickstoff in den Boden und bauen diesen auf. Liguster, Hasel und noch mehr Weiden liefern wertvolles Mulchmaterial. Mit Beeren und Wildobst sind wir nun ebenfalls bestens versorgt. Felsenbirne, Kornelkirsche, Holzapfel, Aronia, Maibeere und Josta gesellen sich zu Cassis, roter Johannisbeere, Stachelbeere, Him- und Brombeere. Den Ehrenplatz nimmt der ehrwürdige Holunder ein. Er erinnert an Rebekkas Mutter, die kurz vor dem ersten Pflanztag verstorben ist. Die Mandelbäume wiederum knüpfen an Luciens Geschichte: Sein Grossvater produzierte in Spanien Mandeln.
Herzstück unseres ersten Waldgarten-Grundelements ist der Swale. Was ist ein Swale? Gemeint ist damit der Graben entlang einer Höhenlinie, um das Hangwasser aufzufangen und es dem Boden und den Pflanzen verfügbar zu machen. Wird der Swale so wie bei uns bepflanzt und mit Hackschnitzeln gefüllt, bildet sich zusätzlich Humus, der in rund zehn Jahren dem Boden und den Pflanzen zu Gute kommt. Auf dessen Rändern gedeihen Mandelbäume und Beerensträucher prächtig, zudem hat das Mauswiesel eine Burg aus Steinen samt Bruthöhle bekommen. Das Wiesel ist ein Nützling und hält die vielen Mäuse und Schnecken in Schach. Enten lieben Schnecken und werden das Wiesel ab kommendem Jahr unterstützen. Den Swale beobachten wir in den kommenden Jahren und machen so anderen unsere Erfahrungen mit dem noch wenig bekannten System zugänglich.
Einen Waldgarten anzulegen braucht Zeit. Ein zweites Waldgarten-Grundelement wartet noch auf seine Realisierung. Mit unseren bisherigen Aktivitäten haben wir vielfältige Lebensräume für Amphibien, Schmetterlinge, Igel und Eulen geschaffen, einen Pilzgarten angelegt, das Hühnergehege erweitert und bepflanzt. Und wir haben viel beobachtet, gelernt und uns über das Leben gefreut, das bei uns Einzug gehalten hat. Einen Fernseher brauchen wir keinen: Wir schauen mit unseren Kindern aus dem Fenster und entdecken so vieles. Zum Beispiel das Eichhörnchen, das fast vor unserer Nase in den Bäumen turnt und sich an den Nüssen gütlich tut. Es hat genug für alle.
An Ideen für die Zukunft mangelt es nicht. Obst- und Marronibäume werden wir pflanzen, Kiwis und Reben sollen gedeihen und uns mit süssen Früchten versorgen, und – tatsächlich – planen wir für das kommende Jahr einen 100 Quadratmeter Gemüsegarten samt Anlehngewächshaus hinter dem Haus.
Schliesslich wünschen wir uns, dass Menschen hier Kurse und Workshops durchführen zu Themen, welche sich in unserem Garten anbieten. Kompostieren, Pflanzenkohle oder Wassermanagement zum Beispiel. Unser Food Forest ist ein Ort der Begegnung, des Lernens und des Staunens. Ein Ort, an dem alle Menschen willkommen sind, die im Einklang mit der Natur und dem Leben stehen und etwas beitragen wollen zu einer zukunftsfähigen Welt.
Rebekka Rieder & Lucien Holzapfel
Händschenmattweg 235
4466 Ormalingen
078 972 35 52